Die 16 teuersten PKV-Irrtümer
Die 16 teuersten PKV-Irrtümer für Bestandskunden Ü55
Nicht nur gesetzlich Krankenversicherte, sondern auch langjährig Privatversicherte sowie nicht spezialisierte Versicherungsmakler vergaloppieren sich beim komplexen Thema PKV oft gewaltig. Gleichzeitig sind falsche Entscheidungen fast immer teuer und häufig auch nicht mehr zu korrigieren.
Wenn Sie trotz dieser Einleitung hier am liebsten aussteigen würden, weil Sie sehen, was da alles auf Sie zukommt, dann springen Sie gerne gleich ans Ende des Artikels.
Wenn Namen oder E-Mail-Adressen in Abbildungen zu sehen sind, hat der Kunde der Nutzung explizit zugestimmt.
1) Private Krankenversicherer und gesetzliche Krankenkassen sind ähnlich organisiert
FALSCH, GKVs sind sog. Körperschaften öffentlichen Rechts, während private Krankenversicherer meist Aktiengesellschaften und immer gewinnorientiert sind. Flapsig formuliert ist Boss der TK eher sowas wie ein ARD-Intendant, während der Allianz-Boss dem Vorstand eines DAX-Konzerns vorsitzt.
Tatsächlich ist die Allianz-PKV eine eigenständige AG mit Daniel Bahr (ganz genau, der Namensgeber für den Pflege-Bahr) als Vorstand für Leistung und Vertrieb ...
Ich will damit ausdrücklich NICHT andeuten, dass Leistungen oder Service der TK auf dem Niveau von linearem TV sind, während die Allianz in der Streaming-Liga spielt - eher im Gegenteil, zumindest was den Umgang mit Bestandskunden angeht.
Als Privatversicherter und v. a. Ü55 sollten Sie jedenfalls nicht dem u. U. teuren Irrtum erliegen, dass Bestandskunden für PKVs denselben Stellenwert haben wie für GKVs, wo ein Wechsel des Anbieters ohne Gesundheitsprüfung und auch Ü55 problemlos möglich ist.
2) Die Preisbildung in PKV und GKV unterscheidet sich nicht groß
WEIT GEFEHLT! In der PKV orientiert sich der Beitrag v. a. an den Kosten, die ein Tarif verursacht, d. h. die Beiträge (= Einnahmen der PKV) hängen von den übernommenen Kosten (= Ausgaben der PKV) im jeweiligen Tarif ab. Individuelle Beitragsvariablen sind: Eintrittsalter, Gesundheit (beim Abschluss des Vertrags und Wechsel in höherwertige Tarife) und Rückstellungen (erst Zuschlag, dann Nachlass).
Ansonsten zahlt jeder Jahrgang in ein und demselben PKV-Tarif ein und denselben Preis. In der GKV hängt der Beitrag von den Einkünften des Versicherungsnehmers ab (Solidarprinzip). Das führt dazu, dass die GKV-Beiträge für gleiche Leistungen 2025 zwischen 205 und 1.144 Euro pro Monat betragen.
Ganz wichtig: Weder in der PKV noch in der GKV werden Sie mit einer Beitragssteigerung bestraft, wenn Sie im Vorjahr hohe Kosten verursacht haben. Auch ein nach einem PKV-internen Tarifwechsel geringerer Beitrag kann in der Folge nicht durch schnellere Anstiege individuell sanktioniert werden.
3) PKV-Beiträge sinken wegen der gebildeten Rückstellungen mit zunehmendem Alter
LEIDER NICHT, denn häufig reicht der bis 60 Jahre erhobene Beitragszuschlag in Höhe von 10% nur, um Beitragsanstiege ab 65 Jahren abzufedern, nicht aber zu verhindern. Rentner, die nicht spätestens mit 40 Jahren zu ihrer PKV gekommen oder in einem teuren Tarif sind, zahlen teilweise über 800 Euro, während Senioren mit kleiner Rente in der GKV oft nur gut 200 Euro zahlen.

4) Die Leistungen selbst guter PKV-Tarife sind schlechter als die GKV-Leistungen
ZUM GLÜCK NICHT, in der PKV entspricht der sog. Standardtarif zwar nur den Leistungen in der GKV, aber die Leistungen der meisten PKV-Tarife sind weitaus besser. Trotzdem gibt es auch Leistungen, die in der GKV übernommen werden, nicht aber in der PKV bzw. zumindest nicht in jedem PKV-Tarif.

5) Der Standardtarif ist bei jeder PKV der günstigste Tarif
FALSCH, bei vielen PKVs gibt es mindestens einen Tarif, der besser und gleichzeitig deutlich günstiger ist als der Standardtarif, im Beispiel unten ganze 200 Euro günstiger und leistungsmäßig viel besser.

6) Nach § 204 VVG muss die PKV den günstigsten gleichwertigen Tarif vorschlagen
LEIDER NICHT, die PKV muss weder bei einer Beitragsanpassung Ü60 noch auf konkrete Anfrage hin zwingend den preiswertesten gleichwertigen Tarif vorschlagen - und sie macht es meist auch nicht, siehe Punkt 1). Der Gesetzestext "bei verständiger Würdigung", die nicht ganz eindeutige Definition von "neuzugangsstärkster Tarif" und die laxe BaFin-Aufsicht machen es den PKVs leicht, günstigere Tarife mit (noch) schlechterem Preis-Leistungsverhältnis vorzuschlagen. Von solchen Tarifwechseln profitiert ggfs. nur die PKV. Selbst wenn Sie nach dem Standardtarif fragen, werden Sie in der Praxis nicht automatisch auf einen verfügbaren preisgünstigeren Tarif hingewiesen, siehe Abbildung oben.

Fakt ist: Aus Sicht der PKV führt eine Tarifoptimierung zu weniger Beitrag für gleichwertige Leistungen und zusätzlichem organisatorischen Aufwand - im Rahmen der Umstellung und auch in Zukunft, wenn wegen eines (teilweisen) Mehrleistungsverzichts ein Leistungsmix aus altem und neuem Tarif entsteht.

7) Ich habe den Tarifwechsel selbst in die Hand genommen, das hat mich nichts gekostet
MITNICHTEN, das kann Sie eine höhere Ersparnis oder ein besseres Preis-Leistungsverhältnis kosten! Ein Irrtum, der Sie noch mehr kosten kann: Ich bleibe lieber in meinem Tarif als ein Honorar zu zahlen. Dabei kann unabhängige Beratung viel Geld sparen, weshalb auch die Verbraucherzentrale dazu rät.
Tipp der Verbraucherzentrale im Deutschlandfunk am 12.09.2023
8) Ich bin im alten Tarif geblieben, weil der Risikozuschlag die Ersparnis aufgefressen hat
LANGSAM, diese Darstellung ist zwar ein bei PKVs beliebtes Argument, um Tarifwechsel abzuwimmeln. Aber das ist nur die halbe Wahrheit, weil Sie auch auf die Mehrleistungen im neuen Tarif verzichten und so die volle Ersparnis retten können, unabhängig vom Gesundheitszustand.

9) Mein Makler sorgt schon dafür, dass ich nicht mehr zahle als notwendig
WEIT GEFEHLT, denn wenn Ihr Makler keinen Fokus auf PKV-Tarifoptimierung hat, kennt er nicht die aktuellen Preise für sog. Bisex-Tarif (zwei Geschlechter, zwei Preise, basierend auf unterschiedlicher Lebenserwartung), die zwar 80% der Tariflandschaft ausmachen, für die es aber spätestens seit 2013 keine aktuellen Preise mehr gibt (da es seit 2013 für PKV-Neukunden nur noch sog. Unisex-Tarife mit identischem Preis für m/w/d gibt). Dazu kommt aus Maklersicht: Je geringer der Beitrag, desto geringer die Bestandsprovision.

10) Tarife, die weniger kosten, müssen auch schlechtere Leistungen haben
NEIN, NEIN und nochmals NEIN, siehe Punkt 2): Die Zusammensetzung des Kollektivs in zwei unterschiedlichen Tarifen einer PKV kann sich mit Blick auf Alter und Gesundheit stark unterscheiden, was dann auch für die Preise gilt. Einfluss auf Alter und Gesundheit eines Kollektivs haben - neben den Tarifleistungen und der Zielgruppe (Ärzte, Beamte, neue Bundesländer usw.) - z. B. auch der Zeitpunkt der Auflage des Tarifs (Tarifalter), die Art und Weise (Intensität) des Vertriebs und wie lange der Tarif schon für Neukunden geschlossen ist.

11) Tarife, die weniger kosten, werden schneller teurer
Das ist FALSCH, auch wenn es erstmal logisch klingen mag. Folgende Annahme: Sie zahlen 800 Euro für Ihren Tarif, der alle 2 Jahre 10% teurer wird. Das heißt: 880, 968, 1065, also +265 Euro in 6 Jahren. Nach einer guten Tarifoptimierung zahlen Sie 500 Euro, plus 10% alle 2 Jahre sind 550, 605, 666, also +166 Euro in 6 Jahren. Natürlich können andere Effekte hinzukommen. Aber die Mathematik ist nach einer guten Tarifoptimierung eindeutig auf Ihrer Seite.
12) Tarife mit gleichen Leistungen kosten auch gleich viel
Selbst das ist NICHT RICHTIG, da sogar identische Tarife in unterschiedlichen SB-Stufen riesige Preisunterscheide haben können - auch NACH Berücksichtigung des Selbstbehalts.
Die Zusammensetzung des Kollektivs in zwei unterschiedlichen SB-Stufen desselben Tarifs kann sich - nach längerer Zeit, wegen der tarifinternen Wechsler - mit Blick auf Alter und Gesundheit deutlich unterscheiden, was dann auch für die Preise gilt.
13) Höhere SB-Stufen sind immer günstiger als die SB-Stufen darunter
Auch das STIMMT NICHT, da Versicherungsnehmer, die weniger gesund sind und deshalb nicht ohne Risikozuschlag in einen anderen Tarif wechseln könnten, oft in eine höhere SB-Stufe ausweichen, um ihren Beitrag zu senken. Irgendwann ist die höchste SB-Stufe dann die mit dem unter dem Strich höchsten Beitrag.
14) Für Neukunden verkaufsoffene Tarife sind günstiger als geschlossene Tarife
NEIN, dem "frischen Blut" jüngerer Versicherter und deren besserer Gesundheit wirken für leichteren Vertrieb oft zu knapp kalkulierte Preise entgegen, die in den ersten 15 Jahren nach der Auflage eines Tarifs Schritt für Schritt nach oben angepasst werden müssen - auch weil viele ältere Versicherte von "Kollegen" in solche Tarife gewechselt wurden. Bestandskunden sind mit dem Wechsel in einen noch jungen Unisex-Tarif nicht unbedingt gut beraten. Kurzfristig mag ein Unisex-Tarif preiswerter sein, aber die Tariflandschaft schrumpft mit der freiwilligen Entscheidung für Unisex bei den meisten PKVs auf eine Handvoll zusammen. Das Für und Wider muss zumindest sorgsam abgewogen werden, auch wenn kein Blick in die berühmte Glaskugel möglich ist.
Aber ich formuliere es mal so: Ich glaube nicht, dass die AXA sich auf absehbare Zeit mit einem günstigeren Tarif als dem EL-Bonus U selbst ein Ei ins Nest legen wird. Deshalb würde ich AXA-Kunden in günstigen Bisex-Tarifen jetzt nicht mehr zum EL Bonus-U raten. Trotz möglicher Mehrleistungen. Die auch erstmal ohne Risikozuschlag oder Mehrleistungsverzicht durchgehen müssten. Das gilt so ähnlich auch für den KVS3 der HanseMerkur. Das ändert nichts an der Richtigkeit von 11). Auch und gerade, wenn der Beitrag im aktuellen Tarif nicht mehr zu stemmen ist.
Die Frage, ob Sie Ihrer PKV oder Ihrem Makler zutrauen, Sie ohne Eigennutz und - basierend auf Erfahrung und/oder Spezialisierung - fachlich korrekt zu beraten, kann letztlich nur von Ihnen selbst beantwortet werden. Wenn Sie, was absolut menschlich ist, mangels Energie oder Zeit geneigt sind, den bequemen Weg zu gehen, lesen Sie bitte Frage 1) unten.
15) Tarife, die schon lange für Neukunden geschlossen sind, sind teuer
NEIN, nicht zwingend, weil etwa Tarife, die nur für die Kündiger-Rückgewinnung eingesetzt wurden, extrem günstig sein können. Denn nur für überdurchschnittlich gesunde Kunden kann - nach einigen Jahren bei PKV A - ein Wechsel zu PKV B, trotz der erneuten Gesundheitsprüfung noch sinnvoll sein. Ein solches Kollektiv verursacht vergleichsweise geringe Kosten und kann von außergewöhnlich günstigen Beiträgen profitieren.
16) Geschlossene Tarife kommen für den internen Tarifwechsel nicht in Frage
BULLSHIT!!! Für Bestandskunden kommen auch geschlossene Tarife in Frage, sogar seit Jahrzehnten geschlossene Bisex-Tarife. Außer, der Bestandskunde ist in einem Unisex-Tarif (von Anfang an oder nach einem Tarifwechsel), dann ist ein Wechsel in die Bisex-Tarifwelt tatsächlich nicht mehr möglich.

Abschließend habe ich noch drei ernstgemeinte Fragen an Sie:
1) Was in Ihrem Leben ist wichtiger für Sie als eine bestmögliche und gleichzeitig bezahlbare Absicherung gegen gesundheitliche Risiken? (Wenn Ihnen da wenig einfällt, dann zurück auf Los!)
2) Kennen Sie einen anderen Wirtschaftsbereich, in dem Sie NICHT zum günstigsten Anbieter gehen können (ohne sich selbst eine Grube zu graben) oder dürfen (Ü55 in die GKV)? Was ich damit meine: Agieren Sie auch so, wo Ihnen doch klar sein sollte, dass Ihre PKV weiß, dass der interne Tarifwechsel Ihre einzige Handlungsoption ist?
3) Woran mag es liegen, dass Check24 fast alles checkt, sogar PKV-Tarife für Neukunden, aber nicht die 4/5 des Tarif-Eisbergs unter Wasser, für Neukunden geschlossen, aber offen für Bestandskunden? In diesem Sinne: Wir checken, was Check24 nicht checkt